
Dortmund soll ein Denkmal zu Ehren der Gastarbeiter:innen bekommen – das hat der Rat der Stadt bereits 2021 beschlossen. Nun begibt sich das Projekt langsam auf die Zielgerade. Knapp 100 Künstler:innen reichten Ideen ein – acht Entwürfe schafften es in die Endrunde und sind noch bis zum 21. Mai 2025 im „Hans C“ in der Hansastraße 6-10 zu sehen. Im Vorfeld der Jury-Entscheidung wurde im Schauspiel Dortmund diskutiert, wie eine zeitgemäße Erinnerung aussehen könnte.
„Wir wollen nicht einfach ein Denkmal in den Raum setzen.“
„Wertschätzen – was ist gute Erinnerungskultur?“ unter dieser Überschrift diskutierten sechs Mitglieder des Beirats, der eigens für das Denkmal gegründet wurde. Es sind Expert:innen aus Wissenschaft und Kunst, dem Kulturausschuss, Integrationsrat und Migrant:innen verschiedener Generationen – insgesamt 14 Menschen, die auch als Jury fungieren werden.

Eine große Gruppe, die sich bemüht viele Perspektiven zu integrieren und viele Menschen zu beteiligen – was sicher nicht immer einfach ist.
Die Entscheider:innen suchen den Dialog: „Diese Veranstaltung gehört genauso zum Prozess, wie das Denkmal selbst“, erklärt Dr. Jacques Heinrich Toussaint, Leiter Kunst im Öffentlichen Raum bei der Stadt Dortmund in seiner Begrüßung: „Wir wollen nicht einfach ein Denkmal in den Raum setzen.“
„Erinnerungskultur ist auch immer der Kampf um Anerkennung.“
Gefragt nach den Kennzeichen guter Erinnerungskultur, blickt Dr. Manuel Gogos erst einmal zurück: „Eine Erinnerungskultur zu haben, ist besser als keine zu haben“, findet der Kulturwissenschaftler aus Bonn. Seit 1955 gäbe es Einwanderung, 14 Millionen Menschen seien bis 1973 nach Deutschland gekommen und diese Geschichte wurde bisher allenfalls an den Rändern, in den Familien und nicht im öffentlichen Raum gewürdigt. Erinnerungskultur sei immer auch der „Kampf um Anerkennung.“ ___STEADY_PAYWALL___

Dominik De Marco, Initiator der Initiative für das Denkmal und für die SPD Mitglied im Ausschuss für Kultur, Sport und Freizeit geht es um Respekt: „Im Museum hört die Dortmunder Geschichte in den sechziger Jahren auf, die Gastarbeiter:innen kommen nicht vor. Das darf nicht so bleiben.“
Für ihn ist das Denkmal ein guter Aufhänger, ein Anlass um Raum für Dialog zu schaffen: „Man muss das Thema streuen, damit auch in die Schulen gehen und den Prozess lebendig halten.“
Ein Anliegen, das er mit Hatice Sarikaya, „Gastarbeiterin“ der ersten Generation, teilt: „Einander zu ehren, ist wichtig für ein Zusammenleben in Frieden“, so die Dortmunderin. Wer geehrt wird, der bringe sich auch ein und Gerechtigkeit sei sehr wichtig.
Von der Bronzeplastik bis zur Performance war alles dabei
Doch wie sollen sich Wertschätzung und Geschichte über das Denkmal vermitteln? „Was soll es denn werden? Ein Sockel aus Marmor oder etwas Mediales? Die Ideen waren sehr verschieden und die Frage war auch: Wo soll das Denkmal hin?“, beschreibt die Berliner Künstlerin Nezaket Ekici den internen Prozess.

„Wir sind durch die Stadt gelaufen und haben uns mögliche Orte angeschaut, schließlich sollte es nicht irgendwo am Rand sein, sondern präsent, mitten in der Stadt.“
Um eine größtmögliche Sichtbarkeit zu gewährleisten ist es nun Wunsch der Jury, das Denkmal in der Katharinenstraße aufzustellen. Über 100 Konzepte wurden eingereicht – acht Entwürfe sind in die engere Auswahl genommen und für den Standort ausgearbeitet worden. Sie wurden im Laufe der Veranstaltung leider nicht vorgestellt, sind aber noch bis zum 21. Mai im Projektraum Hans C in der Hansastraße zu sehen.
Große Gesten, kleine Geschichten und seltsame Worte
Wer dort vorbei schaut wird feststellen, wie unterschiedlich die Künstler:innen das Thema interpretieren. Marbod Fritsch zum Beispiel geht mit einer großen, symbolisch aufgeladenen Arbeit ins Rennen.

Maria Vill (*1971) und David Mannstein
(*1958) aus Berlin MARIA VILL / DAVID MANNSTEIN
Sein Werk „Das grosse Tor“ will laut Konzept Aufmerksamkeit erregen und die Geschichte der Gastarbeiter:innen als Brücke zeigen. Ginge es nach ihm, würde ein großer goldener Bogen die Straße überspannen und zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermitteln.
Konkrete Geschichten erzählen wollen Maria Vill und David Mannstein: Sie möchten 15 Stühle in Bronze gegossen aufstellen, die sich auf Gastarbeiter:innen und ihre Familien beziehen. Jeder Stuhl hat eine eigene Geschichte, die auch mittels QR-Code nachgelesen oder gehört werden kann. Der Titel „Es kamen Menschen!“

„Arbayt“ von Esra Oezen will dagegen gar kein Denkmal im traditionellen Sinn sein.
Die Idee der jungen Künstlerin aus Braunschweig basiert auf einem phonetischen Wörterbuch für türkische Arbeiter aus dem Jahr 1973, in dem deutsche Begriffe in türkischer Lautschrift wiedergegeben wurden. Sie will mit diesen Worten Bodenplatten gestalten: „Es geht nicht um Erhabenheit, sondern Sprache, die sich zu Füßen der Betrachter:innen legt.“
Nur drei von acht Ideen und man fragt sich, wie realistisch der eine oder andere Entwurf mit Blick auf Umsetzbarkeit und Budgets tatsächlich ist – anregend ist die Vielfalt aber auf jeden Fall. Für die große und sehr und divers besetzte Jury dürfte es nicht einfach werden, sich auf einen Entwurf zu verständigen.
Dieses Denkmal kann identitätsstiftend sein – und es wird Gegenwind geben
Auch Nezaket Ekici weiß: „Man kann nicht alle zufrieden stellen. Das Kunstwerk muss zeitgemäß sein, es muss ästhetischen Kriterien genügen und es muss Interaktion bieten“, formuliert sie zumindest ihren Anspruch in der Runde deutlich.

Am Ende gehe es aber auch darum, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen und „dass es jetzt stattfindet, das ist wichtig. Dass die erste Generation das auch noch spürt“, so die Künstlerin. Sie ist überzeugt: „Wir werden ein gutes Werk aussuchen. Es wird Gegenwind und Diskussionen geben – aber so funktioniert ein gutes Kunstwerk.“
Gegenwind und Debatten sieht auch Dr. Manuel Gogos auf die Stadtgesellschaft zukommen – allerdings unabhängig vom Entwurf. „Das Denkmal kann für die Stadt identitätsstiftend sein – es werden sich aber auch rechte Perspektiven daran entzünden, darauf müssen wir uns vorbereiten“, so Gogos.
„Das Denkmal ist der Beginn und nicht der Abschluss.“
Vom Publikum des Abends war jedenfalls kein Widerstand zu erwarten: Freude über das Engagement und Anregungen, wie der Prozess weiterhin gestaltet werden kann, überwogen. Allenfalls mahnten jüngere Gäste im Publikum, das Denkmal sei nur ein Zeichen und nur „dass es da steht reicht nicht. Das bedeutet ja noch nicht, dass wirklich etwas aufgearbeitet wird.“

Renée Tribble, Professorin für Städtebau, Bauleitplanung und Prozessgestaltung an der TU Dortmund, stimmte zu: „Jede:r sollte sich im öffentlichen Raum wiederfinden und wohl fühlen – aber kann ein Denkmal das überhaupt leisten? Ich hoffe, dass es zur Auseinandersetzung einlädt. Das Denkmal ist der Beginn und nicht der Abschluss.“
Im nächsten Schritt werden von den acht Entwürfen drei durch die Jury prämiert. Das an Platz eins gesetzte Konzept wird dann dem Rat zur Umsetzung empfohlen. Es bleibt spannend.
Bis zum 21. Mai können die acht Entwürfe im Projektraum Hans C, Hansastraße 6-10, besichtigt werden. Geöffnet Mittwoch und Donnerstag 11 bis 20 Uhr, Freitag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Eintritt frei.
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Ein wichtiges Kapitel der Dortmunder Geschichte: Ein Denkmal zu Ehren der Gastarbeiter:innen
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Ausstellung zeigt acht Favoriten für das Gastarbeiter*innendenkmal (PM)
Dortmund bekommt ein Denkmal für Gastarbeiter*innen. Wie es aussehen könnte, zeigt noch bis zum 21. Mai eine Ausstellung im „Hans C“ an der Hansastraße, gegenüber dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Acht ausgewählte Entwürfe sind dort in Text und Bild zu sehen – welcher realisiert wird, entscheidet der Rat der Stadt im Juli.
Mehr als 100 Entwürfe professioneller Künstler*innen sind eingesendet worden, am Ende blieben noch acht. Ausgewählt hat sie ein Beirat aus Ratsmitgliedern, Vertreter*innen der Stadtgesellschaft, migrantischer Communities, sowie aus Kunst, Kultur und Wissenschaft. Als Standort für das Denkmal ist die Katharinenstraße in der City vorgesehen.
„Arbayt – Denkmal für Gastarbeiter*innen“ von der Braunschweigerin Esra Oezen soll zur Auseinandersetzung besonders mit der Sprache anregen. Die Künstlerin möchte Text in den öffentlichen Raum setzen: Boden-Tafeln zu Füßen der Betrachter*innen geben deutsche Begriffe in
türkischer, italienienischer, portugiesischer, arabischer, serbokroatischer, griechischer oder spanischer Lautschrift wieder.
„Das große Tor – Die Reise der Gastarbeiter*innen“ heißt die monumentale Arbeit von Marbod Fritsch aus Bregenz. Zwei Standorte bilden eine gemeinsame Skulptur, die Distanzen sichtbar macht – geografisch und emotional. Sie verbindet Orte, Menschen und Geschichten. „Ein monumentaler Stahlbogen überspannt symbolisch beide Orte – wie eine gedachte Linie auf der Landkarte. Er steht für Bewegung, Veränderung und die Lebenswege jener, die ihre Heimat verließen“, so Fritsch.
„Mosaik der Identitäten“ ist ein farbenfroher Entwurf des Berliner Künstlers Raimund Schucht. Das Skulpturen-Ensemble soll ein positives und vielfältiges Bild von Migration, kultureller Vielfalt und der Dynamik des Kulturmixes von Dortmund zeigen. Es zeigt Zitate, Muster und Materialien aus den Ursprungsländern der Migrant*innen.
„The Source. Ein Brunnen“ vom Düsseldorfer Künstler Friedrich Ludmann besteht aus einem modellartigen Zechenförderturm, der dem Doppelbockturm der Zeche Gneisenau in Dortmund-Derne nachempfunden ist. Dieser Förderturm fördert allerdings keine Kohle mehr zutage; stattdessen lässt eine Fontäne Wasser sprudeln. Der Rahmen des Brunnens ist zugleich eine Bank zum Ausruhen.
„Gast“ heißt die Idee von Burak Güller aus Wuppertal. Der Entwurf basiert auf einer Stahlkonstruktion, die an die funktionalen Baracken der Gastarbeiter*innenunterkünfte erinnern soll. Diese Architekturform wurde gewählt, um das einfache, praktische Leben und die Erfahrungen der Migrant*innen im industriellen Umfeld widerzuspiegeln. Der Entwurf soll sich von traditionellen Denkmälern abheben und zu einem lebendigen Ort der Begegnung und des Austauschs werden, beschreibt der Künstler seine Idee.
„Leuchtturm-Denkmal für Gastarbeiter*innen“ hat Maria Fernandez aus Aldenhoven ihren Entwurf genannt. Abstrahierte und konkrete Darstellungen von Lebensgeschichten bilden eine vertikale Skulptur.
„Es kamen Menschen!“, haben die Berliner Maria Vill und David Mannstein ihren Entwurf genannt. Insgesamt 15 unterschiedliche und aus Bronze gegossene Stühle sollen im öffentlichen Raum dazu einladen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie stammen von Gastarbeiter*innen und ihren Familien, so dass jeder Stuhl eine eigene Geschichte hat. Mit Hilfe eines QR-Codes gelangt man zu einer Website, auf der unterschiedliche Gastarbeiterschicksale erzählt werden
„Zusammen wachsen und hinein hören“ ist eigentlich ein Gewächshaus, nach einer Idee von Rahel Seitz aus Egelsbach und Franz Schrock aus Kempten. Das Gewächshaus-Objekt in geschwungener, neunteiliger Form soll mit Pflanzen der Gastarbeiter-Länder bestückt werden. Dazu sollen Interviews von Gastarbeiter*innen, besonders aus der ersten Generation, zu hören sein.
Die Ausstellung im Hans C ist Montag und Dienstag geschlossen, Mittwoch und Donnerstag 11 bis 20 Uhr und Freitag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Zu sehen sind die Entwürfe bis zum 21. Mai. Eine Jury ermittelt die Gewinner und stellt sie dem Rat der Stadt Dortmund in der Juli-Sitzung vor.
dortmund.de/kioer